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Wie sich das Internet für die Demokratie sicher machen lässt

STANFORD – Im Oktober kam es zu einer Konfrontation zwischen einer führenden Demokratischen Kandidatin für das Amt des US-Präsidenten, Senatorin Elizabeth Warren, und Facebooks CEO Mark Zuckerberg. Warren hatte eine Aufspaltung von Facebook gefordert, und Zuckerberg sagte in einer internen Rede, dass dies eine „existentielle“ Bedrohung für sein Unternehmen darstelle. Facebook wurde dann dafür kritisiert, dass es eine Werbeanzeige von Präsident Donald Trumps Wahlkampfteam veröffentlichte, in der offensichtlich falsche Korruptionsanschuldigungen gegen den früheren US-Vizepräsidenten Joe Biden, einen weiteren führenden Demokratischen Präsidentschaftsbewerber, erhoben wurde. Warren trollte das Unternehmen anschließend, indem sie ihrerseits eine vorsätzlich falsche Anzeige aufgab.

Diese Auseinandersetzung spiegelt die akuten Probleme wider, die die sozialen Medien für die amerikanische und tatsächlich für alle Demokratien aufwerfen. Das Internet hat die traditionellen Medien, wie Zeitungen und Fernsehen, in vieler Hinsicht als wichtigste Quelle von Informationen über öffentliche Ereignisse und als Forum, in dem diese diskutiert werden, verdrängt. Doch lassen sich die sozialen Medien viel stärker nutzen, um bestimmte Stimmen zu verstärken, und können von demokratiefeindlichen Kräften – egal ob russischen Trollen oder amerikanischen Verschwörungstheoretikern – viel wirksamer als Waffe eingesetzt werden. Dies wiederum hat zu Forderungen geführt, der Staat müsse die Internet-Plattformen regulieren, um den demokratischen Diskurs selbst zu bewahren.

Doch welche Formen der Regulierung sind verfassungsgemäß und praktikabel? Der erste Verfassungszusatz der amerikanischen Verfassung enthält sehr starke Instrumente zum Schutz der freien Rede. Viele Konservative haben Facebook und Google vorgeworfen, rechte Stimmen zu „zensieren“. Doch findet der erste Verfassungszusatz nur auf staatliche Beschränkungen der Redefreiheit Anwendung; die Fähigkeit privater Parteien wie der Internet-Plattformen zur Moderierung ihrer eigenen Inhalte wird durch Gesetze und Präzedenzrecht geschützt. Darüber hinaus befreit § 230 des Communications Decency Act von 1996 sie von privater Haftung, die sie andernfalls von der Kuratierung von Inhalten abhalten würde.

Die US-Staatsorgane dagegen unterliegen bezüglich ihrer Fähigkeit, Inhalte im Internet so wie etwa China direkt zu zensieren, strengen Beschränkungen. Doch regulieren die USA und andere entwickelte Demokratien die Rede trotzdem, wenn auch auf weniger übergriffige Weise. Dies gilt insbesondere für den traditionellen Rundfunk, wo die Regierungen den öffentlichen Diskurs durch ihre Fähigkeit zur Lizensierung von Sendern geformt haben, um bestimmte Formen der Rede (wie Anstiftung zum Terrorismus oder harte Pornographie) zu verbieten oder um öffentliche Sendeanstalten mit einem Mandat zur Bereitstellung verlässlicher und politisch ausgewogener Informationen zu gründen.

Das ursprüngliche Mandat der Federal Communications Commission (FCC) bestand nicht bloß darin, private Sendeanstalten zu regulieren, sondern ein breites „öffentliches Interesse“ zu stützen. Hieraus entwickelte sich die „Fairness-Doktrin“ der FCC, die Fernseh- und Radiosender zu einer politisch ausgewogenen Berichterstattung und Meinungsäußerung verpflichtete. Die Verfassungsmäßigkeit dieses Eingriffs in die private Redefreiheit wurde im Fall Red Lion Broadcasting Co. v. FCC von 1969 angefochten, in dem der US Supreme Court die Befugnis der FCC bestätigte, einen Radiosender zur Ausstrahlung von Antworten auf einen konservativen Kommentator zu verpflichten. In seiner Begründung stützte sich das Gericht auf die geringe Zahl der Funkfrequenzen und die damals von den drei großen amerikanischen Fernsehanstalten ausgeübte oligopolistische Kontrolle über den öffentlichen Diskurs.

Die Entscheidung im Fall Red Lion entwickelte sich jedoch nicht zur ständigen Rechtsprechung, weil Konservative die Fairness-Doktrin immer wieder in Frage stellten. Republikanische Präsidenten belegten Demokratische Versuche, sie im statuarischen Recht zu verankern, wiederholt ihrem einem Veto, und die FCC widerrief die Doktrin 1987 dann selbst durch administrative Entscheidung.

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Aufstieg und Niedergang der Fairness-Doktrin zeigen, wie schwierig es wäre, etwas Entsprechendes für das Internet-Zeitalter einzurichten. Es gibt viele größenbezogene Parallelen zwischen damals und heute. Facebook, Google und Twitter hosten heute die überwiegende Mehrheit der Internet-Rede und sind in derselben oligopolistischen Position, wie das die drei großen US-Fernsehanstalten in den 1960er Jahren waren. Doch dass die heutige FCC ein modernes Gegenstück zur Fairness-Doktrin formulieren würde ist unvorstellbar. Die politische Landschaft der USA ist deutlich polarisierter; eine Einigung darüber, was inakzeptable Rede darstellt, wäre (z. B. in Bezug auf die verschiedenen von Alex Jones verbreiteten Verschwörungstheorien, so etwa die, dass es das Massaker an einer Schule in Newtown (Connecticut) 2012 gar nicht gegeben habe) unmöglich zu erreichen. Ein regulatorischer Ansatz zur Moderierung von Inhalten führt daher – nicht aus grundsätzlichen, aber aus praktischen Erwägungen – in die Sackgasse.

Darum müssen wir das Kartellrecht als Alternative zur Regulierung in Erwägung ziehen. Das Recht privater Parteien auf Selbstregulierung von Inhalten wurde in den USA eifersüchtig gehütet; wir beschweren uns nicht, dass sich die New York Times weigert, Beiträge von Jones zu veröffentlichen, weil der Zeitungsmarkt durch Dezentralisierung und Wettbewerb geprägt ist. Eine Entscheidung von Facebook oder YouTube, ihn nicht zu übertragen, ist aufgrund ihrer monopolistischen Kontrolle über den Diskurs im Internet deutlich folgenschwerer. Angesichts der durch ein privates Unternehmen wie Facebook ausgeübten Macht dürfte es selten als legitim angesehen werden, wenn es derartige Entscheidungen trifft.

Andererseits wären wir über Facebooks Entscheidungen zur Moderierung von Inhalten viel weniger besorgt, wenn es einfach eine von mehreren konkurrierenden Internet-Plattformen mit unterschiedlichen Ansichten darüber wäre, was akzeptable Rede ist. Dies verweist auf die Notwendigkeit, die Grundlagen des Kartellrechts in umfassender Weise zu überdenken.

Der Rahmen, gemäß welchem Regulierungsstellen und Richter heute das Kartellrecht betrachten, entstand während der 1970er und 1980er Jahre als Beiprodukt des Aufstiegs der Chicagoer Schule für die freie Marktwirtschaft eintretender Ökonomen. Wie in Binyamin Appelbaums kürzlich erschienenem Buch The Economists’ Hour beschrieben, äußerten Personen wie George Stigler, Aaron Director und Robert Bork nachhaltige Kritik über eine übertrieben fanatische Durchsetzung des Kartellrechts. Ihre Argumente war überwiegend wirtschaftlicher Art: Das Kartellrecht würde gegen Unternehmen eingesetzt, die groß geworden seien, weil sie innovativ und effizient seien. Die Kritiker argumentierten, dass die einzig legitime Messgröße für den von großen Unternehmen verursachten Schaden eine am Preis oder an der Qualität festgemachte verringerte Verbraucherwohlfahrt sei. Und sie waren der Ansicht, dass der Wettbewerb letztlich selbst die größten Unternehmen disziplinieren würde. So sei es etwa mit IBM nicht aufgrund von Kartellmaßnahmen der Regierung bergab gegangen, sondern wegen des Aufstiegs des PC.

Die Kritik seitens der Chicagoer Schule umfasste jedoch noch ein weiteres Argument: Es sei den Verfassern des Sherman Antitrust Act von 1890 nur um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Größe gegangen und nicht um die politischen Auswirkungen von Monopolen. Und mit der Verbraucherwohlfahrt als einzigem Kriterium für die Einleitung staatlicher Maßnahmen ließ sich schwer gegen Unternehmen wie Google und Facebook argumentieren, die ihre wichtigsten Produkte kostenlos abgaben.

Wir stecken angesichts der von der digitalen Technologie ausgelösten Veränderungen in Bezug auf diesen ererbten Rechtskorpus mitten in einem wichtigen Umdenken. Ökonomen und Rechtswissenschaftler erkennen zunehmend, dass den Verbrauchern ein Schaden durch Dinge wie den Verlust der Privatsphäre und nicht stattfindende Innovationen entsteht, da Facebook und Google die Daten ihrer Nutzer verkaufen und Start-up-Unternehmen, die sie herausfordern könnten, aufkaufen.

Doch auch der durch die Größe dieser Unternehmen verursachte politische Schaden ist ein wichtiges Problem und sollte bei der Durchsetzung des Kartellrechts berücksichtigt werden. Die sozialen Medien wurden zu einer Waffe umfunktioniert, um durch vorsätzliche Beschleunigung des Stroms von Falschinformationen, Verschwörungstheorien und übler Nachrede die Demokratie zu untergraben. Nur die Internet-Plattformen haben die Fähigkeit, diesen Müll aus dem System herauszufiltern. Doch kann die Regierung die Aufgabe, zu entscheiden, was akzeptable Rede darstellt, nicht einem einzelnen privaten (weitgehend von einer einzigen Person kontrollierten) Unternehmen übertragen. Wäre Facebook Teil eines stärker dezentralisierten, wettbewerbsgeprägten Plattform-Ökosystems, würden wir uns viel weniger Sorgen über dieses Problem machen.

Abhilfen werden schwer umsetzbar sein; es liegt in der Natur von Netzwerken, dass sie Größe belohnen, und es ist unklar, wie man ein Unternehmen wie Facebook aufspalten könnte. Doch müssen wir uns bewusst machen, dass, auch wenn der digitale Diskurs durch die ihn hostenden privaten Unternehmen kuratiert werden muss, diese Macht nicht sicher ausgeübt werden kann, sofern sie nicht in einem vom Wettbewerb geprägten Markt gestreut ist.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/pmDpsvOde