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Ist Europa kaputt?

PRINCETON: Letzte Woche beschloss der Europäische Rat, Beitrittsgespräche mit der Ukraine aufzunehmen. Es war ein wichtiger politischer Sieg für den unter Druck stehenden ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj, und laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyenwar es „ein Tag, der in die Geschichte unserer Union eingehen wird“. Der wahre Gewinner freilich war Ungarns EU-feindlicher Ministerpräsident Viktor Orbán.

Nachdem er wochenlang gedroht hatte, die Entscheidung zu blockieren, gab Orbán scheinbar nach, indem er einfach den Saal verließ, sodass die übrigen Staats- und Regierungschefs zu einer offiziell einstimmigen Übereinkunft kommen konnten. Nicht nur wird Orbán trotzdem reichlich Gelegenheit haben, den ukrainischen Beitritt zu sabotieren; er hat es zudem geschafft, die Freigabe von EU-Geldern zu erzwingen, die die EU-Kommission wegen Korruptionsbedenken zurückgehalten hatte.

Ironischerweise stärkt das Ergebnis die Argumente gegen die europäische Erweiterung zusätzlich. Schließlich kann einen, sobald man erst einmal Mitglied des europäischen Clubs ist, anscheinend niemand mehr zwingen, sich an dessen Regeln zu halten. Die ungarische Regierung hat es vor aller Welt unter Beweis gestellt. Je näher die Ukraine dem Beitritt kommt, desto lauter wird der Chor jener werden, die uns erinnern, dass der Korruption und Autokratisierung innerhalb des Blocks – entgegen aller Verträge und moralistischen Rhetorik seitens der europäischen Eliten – keine echten Grenzen gesetzt sind.

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